Wie ich es ja hier schon angekündigt hatte, durfte ich nun ein my Boo Rad ausgiebig testen. Es ist ein E-Trekkingbike (oder wie my Boo es nennt ein E-SUV) mit dem schönen Namen „my Jacobu“ geworden. Ausgestattet ist es mit einem Shimano Steps Antrieb und einem 504 Wh Akku. Auch der Rest der Ausstattung kann sich durchaus sehen lassen:

Tranzparenzhinweis
Das Rad wurde mir von my Boo kostenlos für 10 Tage zur Verfügung gestellt. Ich bekomme keinerlei Honorar für meinen Test. Alle Aussagen beruhen auf meinen eigenen Erfahrungen.
Das erste was ins Auge springt ist natürlich der Rahmen. Klar, Bambus ist eher selten bis gar nicht präsent. Aber gerade deshalb möchte ich zunächst so tun, als wenn wir es hier mit einem ganz „normalen“ Pedelec zu tun haben. Ich versuche den besonderen Rahmen, die Fertigungsbedingungen, das soziale Engagement hier im ersten Teil mal auszublenden (natürlich dazu später mehr) und einfach zu gucken, was das „my Jacobu“ als Pedelec kann. Gerade beim Antrieb werde ich nicht umhin kommen, es gelegentlich mit meinem eigenen Diamant Zouma mit Bosch Performance Line Motor zu vergleichen. Da habe ich einfach die meisten Erfahrungen gesammelt.

Wir fährt es sich?
Um es kurz zu machen: Sehr komfortabel. Zum einen durch die generelle Geometrie. Man sitzt ziemlich aufrecht mit enspannten Armen und wenig Sattelüberhöhung. Der Vorbau ließe sich sogar noch etwas höher einstellen. Nach reiner Lehre hätte es für mich wahrscheinlich ein 58er Rahmen sein müssen. Da nur ein 55er verfügbar war habe ich den natürlich genommen. Aber auch das sitzt sich kommod. Ich bin 185 cm groß und habe 90 cm Schrittlänge. Durch den klassischen Trapezrahmen kann man die Sattelstütze auch weit genug rausziehen. Zum anderen sind komfortable Komponenten verbaut. Und da wäre ich beim zweiten Komfortpunkt: Dem Sattel. Das ist ja immer so eine Sache. Aber hier passt es buchstäblich wie A… auf Eimer. Der Selle Royal Essenza ist eine tolle Wahl. Wenn auch das natürlich sehr individuell ist. In der Ausstattungsliste steht allerdings ein Ergon.
Obwohl die Sattelstütze einen großen Durchmesser hat, ist die Hinterhand trotzdem ziemlich komfortabel. Hier kommt der angenehm flexende Rahmen ins Spiel. Ähnlich wie ein filigraner Stahlrahmen, schluckt das Material gerade kleine Stöße und Vibrationen weg. Vorne ergänzt durch die RockShox Paragon Gabel. Diese musste ich aber erstmal etwas aufpumpen. Beim Aufsitzen war der halbe Federweg weg. Und das schon vor der Weihnachtszeit 😉
Die anderen Bauteile die zum Komfort beitragen, bescheibe ich weiter unten.
Antrieb: Elektrik
Generell musste ich mich dran gewöhnen, dass die Unterstützung bei 25 km/h endet. Ist ja ein normales Pedelec. Normalerweise bewege ich ja ein Speed-Pedelec das bis 45 km/h unterstützt. Das umso mehr, als der Shimano Motor im besten Sinne sehr unauffällig arbeitet. Einfach eingebauter Rückenwind wie man ihn sich vorstellt. Besonders angenehm ist, dass es hier keine Kadenzbeschränkung gibt wie ich sie von Bosch kenne. Ich pedaliere gerne um die 80 bis 90 rpm. Dies ist bei Bosch bereits schwierig. Der Shimano Motor ist hier deutlich angenehmer. Auch die Bedienung gibts keine Rätsel auf. Zwei kompakte Tasten am linken Griff und ein kleines Display in der Mitte. Passt.
Der Motor ist durchaus zu hören, ist aber wiederum deutlich leiser als der Bosch CX (Gen 2). Durch das große Kettenblatt ist auch ein geringerer Kettenverschleiß zu erwarten. In der dritten Unterstützungsstufe „boost“ knallt es aber ganz schön beim Schalten. Nach Eingewöhung und wenn man etwas Druck vom Pedal nimmt, ist das aber auch kein Thema mehr.

Die Unterbringung des Akkus und der Kabelage ist natürlich bei einem Bambusrahmen eine Herausforderung, da nichts innen verlegt werden kann. Dies wurde unter den gegebenen Unständen ordentlich gelöst. Nachteile sind die Schmutzempfindlichkeit und die Optik. Ein Vorteil ist natürlich die Wartung. Alles ist einfach zu erreichen.
Die Akkuhandhabung ist durch die aufgesetzte, nicht integrierte Montage auch super. Viel besser als eine voll integrierte Lösung. Lediglich das Schloss, bzw der Schlüssel macht nicht den hochwertigsten Eindruck. Da kann tatsächlich Bosch mal was besser 😉


Antrieb und Bremsen: Mechanik
Was mich ab dem ersten Meter beeindruckt hat, ist die Performance der aktuellen Shimano Deore 1×10 Schaltung. Ich habe an meinem Diamant noch die Version von 2018. Hätte man mir damals die 2021 Deore Schaltung vorgesetzt, ich hätte sie wohl für die aktuelle XTR gehalten.
Für alle nicht Bikenerds: Die Shimano Deore ist der Einstieg in die ernsthaften MTB Gruppen. Das ist natürlich meine Meinung. Aber ich finde, dass die anderen Gruppen (Tourney, Altus, Alivio und Acera) an hochwertigen Rädern nicht zeitgemäß sind (Shimano MTB Groupset Hirachie). Danach kommt die SLX, die XT und ganz oben die edle XTR.
Auf jeden Fall ist die Schaltperformance echt super beeindruckend. Der Hebel lässt sich sehr leicht bedienen und alles fühlt sich knacking an. Wenn es nicht aufs Prestige oder das letzte Gramm ankommt, gibt es eigentlich keinen Grund für eine XT oder XTR. Topp!
Bei der Bremse untertreibt my Boo in der Beschreibung. Dort steht eine relativ einfache, gruppenlose Shimano MT 400. Das heisst eine einfache 2-Kolben Bremszange mit nicht einstellbarem Leitungsanschluss und einer Splintbefestigung für die Bremsbeläge. Zumindest die Bremshebel sind aber auch hier aus der Deore Reihe. Das heißt, dass die Hebelweite (mit Werkzeug) einstellbar ist und der Hebel über eine geteilte Montageschelle verfügt. Das ist immer nett, da dann die Griffe im Wartungsfall nicht demontiert werden müssen. Und es ermöglicht die aufgeräumte Montage des Schalthebels zusammen mit der Bremse. Leider ist genau das hier eine schlechte Wahl. Der Schalthebel rück dadurch sehr weit nach außen. Bei der Fahrt bleibt mir leider nichts anderes übrig, als den Daumen ständig auf dem Hebel liegen zu lassen weil ich nicht weiß wo hin damit. Schade.
Das kann Magura mit der optionalen ShiftMix Lösung besser.

Von der Bedienbarkeit und der Wirkung ist die Bremse aber, typisch Shimano, über jeden Zweifel erhaben und absolut angemessen. Man könnte den Schalthebel auch einfach mit einer separaten Schelle befestigen wenn es einen stört.
Sonstige Ausstattung
Licht:
Das B+M Toplight 2C Rücklicht ist eine gute Wahl. Es ist sehr hell und gut geschützt montiert.
Der Supernova Mini 2 Scheinwerfer hat mich dagegen etwas enttäuscht. Das Licht ist nicht besonders hell. Versteht mich nicht falsch. Es ist ein guter, sauber verarbeiteter Scheinwerfer. Aber von Supernova hätte ich für eine UVP von 155€ mehr erwartet. Ein B+M IQ-X bietet hier meiner Meinung nach die gleiche, wenn nicht bessere Performace zum halben Preis. Mein Maßstab ist hier, dass ich mit dem Scheinwerfer im Zweifel im Winter auf unbeleuchteten Landstraßen unterwegs bin. Fernlicht braucht es bei 25 km/h aber sicher nicht.
Gepäckträger:
Der Racktime Addit Gepäckträger macht einen sehr soliden Eindruck. Die 25 kg Tragkraft klingen plausibel. Meine große Ortlieb office bag passte auch problemlos dran. Daumen hoch! Auch finde ich die sichtbaren Streben zur Sattelklemme völlig in Ordnung. Dadurch ist der Träger nochmal Verwindungssteifer als einer mit versteckter Verstärkung unterhalb des Schutzbleches.

Schutzbleche:
In dieser Preisklasse hätte ich eigentlich Schutzbleche aus Metall erwartet. Allerdings ist das auch eine Gewichtsfrage. Auf jeden Fall sind beide Schutzbleche breit genug um die grobstolligen Reifen abzudecken. Das vordere könnte aber gerne länger sein oder optional einen Spritzlappen haben.
Seitenständer:
Hier muss ich leider sagen, dass der Hebie Fix 18 für ein schweres Pedelec, womöglich mit Gepäck, keine gute Wahl ist. Das Rad steht recht wackelig und der Lenker neigt dann zum Umschlagen. Meine Referenz ist hier der Pletscher Esge Comp Flex Rear den ich am Diamant verbaut habe. Damit steht das Rad immer sicher. Auch wenn die volle Bürotasche dran ist.

Vorbau, Lenker Griffe:
Hier gibt es nichts zu meckern. Besonders der verstellbare Vorbau ist natürlich was feines. Der Ergotec Vorbau ist hochwertig verarbeitet und vorbildlich beschriftet. Der Lenker hat eine angenehme Form und Breite. Die Ergogriffe liegen toll in der Hand (bis auf das Thema mit dem Schalthebel der in Weg ist). Aber das ist sicher Geschmackssache.

Alternativ bietet my Boo was besonderes an. Nämlich Griffe aus Birkenrinde. Das ist wirklich mal was anderes. Das Griffgefühl ist wie versprochen wirklich toll. Könnt ihr euch hier angucken -> Klick

Der Rahmen
So weit so gut. Jetzt möchte ich aber doch natürlich näher auf den Rahmen eingehen. Denn der macht das Rad eben besonders und zu einem absoluten Hingucker.
Die Organischen Formen durch die aus Sisal und Harz hergestellten Verbindungen sehen einfach toll aus. Etwas ulkig manchmal aus der Fahrerperspektive. Das Oberrohr ist z.B. nicht schnurgerade. Es ist eben so wie es gewachsen ist und macht bei diesem speziellen Rad einen Bogen nach links. Dadurch sieht es aus, als würde das Vorderrad einen Versatz nach rechts haben. Aber das ist nur Optik. Auch der Akku ist nicht 100% gerade. Aber das macht den besonderen Charme des ganzen aus. Die Verbindung von Pedelec Hightech mit dem natürlichen Material des Rahmens.
Wie ich oben schon schrieb, macht das Material den Rahmen auch sehr komfortabel. Das ist wirklich angenehm.
Das einzige was mich optisch etwas stört sind die Bearbeitungsspuren der Ausfallenden aus unbehandeltem Aluminim. Eine schwarze Eloxierung würde hier sicher auch gut aussehen. Andererseits unterstützt dies auch die „Handmade“ Optik.
Sehr schön gelöst ist auch die Schraubenauswahl. Technisch und optisch.

Die soziale Komponente
Dass die Rahmen dazu auch noch fair und deutlich weniger energieaufwendig in Ghana hergestellt sind, macht die ganze Sache umso interessanter. Details dazu solltet ihr euch unbedingt HIER durchlesen! Besonders hervorzuheben ist das dortige Schulprojekt. Derzeit gehen über 200 Kinder in die von der my Boo Initiative gebauten Schule. Echt mega cool und beeindruckend : My Boo Ghana School.
Preis / Leistung
Ein ganz schwieriges Thema. Das my Jacobu kostet knapp 5000€. Wenn man rein auf die Ausstattung guckt, ist das Rad klar zu teuer. Ein vergleichbares Großserienrad würde ca. 3800 bis 4000 € kosten. Aber genau das ist der Punkt. Wir haben es hier mit einem echten Manufakturprodukt zu tun. Dazu noch mit einem, das aus einem ganz besonderem Material hergestellt wurde, wo man sich nicht einfach know how einkaufen kann. Von der sozialen Komponente einmal ganz abgesehen.
Nehmen wir mal als Beispiel die Firma Alutech. Ich bin ja zugegebenermaßen ein Fanboy. Auch deren Räder sind objektiv gesehen zu teuer. Für weniger Geld bekomme ich auch sehr gute Großserienräder. Aber die Story, dass da einer im flachen Schleswig-Holstein sein Ding durchzieht und einfach geile Räder baut ist mir das Geld wert. Ähnlich sieht es bei Firmen wie Nicolai oder Norwid aus. Der Kauf eines solchen Rades ist immer auch ein Statement.
Bei my Boo ist das ganz ähnlich. Man hat etwas sehr exclusives und unterstützt zum einen die Region und zum anderen soziale Projekte in Afrika. Somit ist das Rad im besten Sinne preiswert.
Dazu kommt natürlich noch der persönliche Service. Man kann auch einfach mal hingehen und ein Schwätzchen halten. Ist gerade bei so speziellen Rädern nicht zu unterschätzen.
Kurzfazit
Zum Schluss dann noch meine obligatorischen, subjektiven Positiv- und Negativpunkte
Positiv
- Toller Komfort: Rahmen, Gabel, Sattel, Cockpit
- Optik
- Rahmenverarbeitung
- Verarbeitung Allgemein
- Überzeugender Shimano Steps EP8 Antrieb
- Akkuhandhabung
- Tolle Deore 1 x 10 Schaltung
- Alltagstauglicher Gepäckträger
- Gut geschütztes, helles Rücklicht
- Sehr angenehme Shimano MT400/Deore Bremse
- Reifenwahl
- (Preis / Leistung)
Negativ
- Frontscheinwerfer mit zu geringer Ausleuchtung
- Schalthebelmontage
- Seitenständer zu wackelig
- Akkuschloss/Schlüssel wirkt etwas weniger hochwertig
- (Preis / Leistung)
Ich danke auf jeden Fall my Boo und speziell dem Felix, mir diesen Test ermöglicht zu haben. Gerne wieder 🙂